Einzelkind und Einkindmama
Heute geht’s um Aline. Aline ist 34 Jahre alt, hat einen dreijährigen Sohn und sie ist sich sicher, dass sie kein weiteres Kind bekommen möchte. Sie ist selbst Einzelkind und hat in ihrem bisherigen Leben dahingehend nichts vermisst. Ihr Mann ist ebenfalls Einzelkind und hat zwei Bonuskinder mit in die Beziehung gebracht. Im folgenden Interview lest ihr, wie Alines Weg zum Einkindmama sein aussah, wie sie sich als Einzelkind fühlte und wie sie damit umging, als um sie herum alle wieder schwanger wurden. Viel Spaß beim Lesen. Wenn ihr lieber zuhört, als zu lesen, gibt’s hier auch die Podcast-Folge dazu mit Aline:
Du bist Einzelkind und so wie ich dich wahrnehme ein sehr glückliches Einzelkind.
Ich bin ein sehr glückliches Einzelkind und würde sagen, mir hat es an wirklich nichts gefehlt und tut es auch heute nicht.
Hast du nie Geschwister vermisst?
Nein, ich habe gute Erinnerungen an meine Kindheit.
Ich kann wirklich sicher sagen, dass ich niemals in meinem Kopf den Gedanken hatte, oh, wäre das jetzt schön, wenn ich Geschwister hätte. Ich glaube, dass das an meinem Umfeld liegt, weil ich nie allein war. Nie!
Wir haben einen sehr, sehr engen Familienzusammenhalt und meine große Cousine ist genau zehn Jahre älter als ich und die war gefühlt immer da. Sie ist für mich wie eine Schwester. Wenn irgendwas ist, ist sie immer da, genauso wie meine jüngere Cousine oder auch mein Cousin oder meine Tanten. Wenn ich Familie sage, ist es nicht Mama, Papa. Wenn ich Familie sage, ist es Mama, Papa, Tante, Onkel, Cousine. Das musste mein Mann auch erst mal lernen, dass wenn ich gesagt habe, ich habe die Familie eingeladen, dann war das nicht, wir haben ein Essen zu viert sondern wir sind so 15 bis 17 Personen.
In meiner erweiterten Ursprungsfamilie bin ich das einzige Einzelkind. Und meine Mama wollte immer nur ein Kind.
Das ist interessant, denn Einkindfamilien waren damals gefühlt nicht weit verbreitet bzw. bewusst gewählt. Es war außergewöhnlich oder nicht so normal wie heute. Weißt du genauere Hintergründe ihrer Entscheidung?
Ja weiß ich und es wiederholt sich bei mir unbewusst. Meine Mama hatte einen sehr guten Job. Sie war Chefsekretärin von einem großen Unternehmen und in ihrem Job sehr glücklich. Und mein Papa war in seinem Handwerksberuf sehr happy und in der Fastnacht, unserer großen Leidenschaft. Wie ich immer sage, das ist der erste Job von meinem Papa. Und dann kam ich auf die Welt. Sie haben sich immer ein dunkelhaariges Mädchen gewünscht und alles war wunderbar. In meiner Kindheit und darüber hinaus hatte ich das Gefühl, wir sind eine Einheit zu dritt. Und die Mama wollte nie, dass ihr Leben sich so sehr ändert, dass sie ihr eigenes Leben nicht mehr leben kann. Sie sagt, ich habe mein Leben mit dir geführt, Aline, aber nicht für dich. Und so bin ich groß geworden. Wie wir auch jetzt sagen, ich wurde von einem Dorf erzogen, da war meine Mama, da war mein Papa, da waren meine Omas, da waren meine Opas, alle Tanten und ich war schon sehr früh bei den anderen. Es war einfach kein Problem, dass Mama nach 10 Wochen wieder arbeiten gehen konnte. Tagesmütter und U-3-Betreuung gab es damals noch nicht. Durch die regionale Nähe wurde ich dann mit zehn Wochen morgens zu meiner Oma gebracht und mittags hat mein Papa mich abgeholt.
Voll fortschrittlich für damals
Ja, ich glaube schon. Wir sind ja so eine Generation, da waren alle Muttis noch daheim, weil man ist ja erst mit drei Jahren in den Kindergarten gekommen. Meine Mama war früher arbeiten und das war überhaupt nicht schlimm.
In der Pubertät hat meine heute noch engste Freundin mal gesagt, dass meine Mama ja eine ziemliche Rabenmutter gewesen zu sein scheint, weil sie so früh arbeiten war. Ich hab die angeguckt und gedacht, hä, was war denn daran schlimm?
Und… Ich bin mal ganz ehrlich, ich finde meine Omas und Opas sowieso cooler. Ich habe mit meinen Omas und Opas mehr gebastelt, gemalt, gebacken und genäht als mit meiner Mutter jemals. Also ich wurde von einem Dorf erzogen und bin darüber ganz glücklich.
Du bist in einem großen sozialen Gefüge großgeworden. Wie hat das dich geprägt?
Ja, in meinem Alltag und bei uns ist sehr viel los. Ich sage dazu immer, dass ist meine Love Base, meine Sicherheitsbank, das sind meine Menschen. Das ist immer meine Familie und das sind meine Freunde. Deswegen habe ich viele Menschen in meinem Leben, die schon lange an meiner Seite sind. Die sind mir auch heilig. Als ist kürzlich eine Fastnachts-Sitzung moderiert habe und da eigentlich die Ehrengäste begrüßt werden, habe ich meine Mädchen auch begrüßt. Das ist mir total wichtig und das ist auch mein wunderster Punkt. Da fange ich auch als erstes an zu heulen und bin da sehr emotional und das sind mir die allerwichtigsten Werte, die ich meinem Sohn auch weitergebe.
Du hast dich bewusst für „nur“ ein Kind entschieden. Wolltest du schon immer nur ein Kind?
Irgendwie hat sich das wie bei meiner Mama wiederholt. Ich war schwanger und das war überraschend toll. Es war zwar schon geplant, wir kriegen ein Kind, aber irgendwie war das dann doch, huch, schwanger, cool, klasse. Und dann kam der Henry und mir wurde ziemlich schnell klar, dass ich zu Hause in der Muddirolle unglücklich bin. Dazu muss ich sagen, dass ich mit 16 Wochen schon durch ein Berufsverbot zu Hause war. Dann war der Henry auf der Welt, so vier, fünf, sechs Monate und ich habe mich selbst nicht leiden können. Ich fand es ganz schrecklich. Ich war keine Cappuccino-Mama. Und dann kam die Situation, dass ich gedacht habe, okay, ich glaube, ich weiß, was mir fehlt, ich will wieder arbeiten gehen. Ich will raus aus diesem Ding hier. Und dann habe ich da viel mit meinem Mann drüber gesprochen. Der mich da halt auch immer direkt unterstützt hat und gesagt hat, du, ich glaube, du bist auch wieder happy, wenn du arbeiten gehst, du gehst einfach gerne arbeiten und dir fehlt was. Dann habe ich mit meiner Mama drüber gesprochen und meine Eltern haben gesagt, sie würden mich unterstützen. Dann habe ich mit 16 Stunden angefangen. Da war der Henry sechs Monate alt und ich war sofort ein anderer Mensch. Da habe ich gemerkt, was ich gebraucht habe.
Ich wollte einfach raus aus dieser Mama-Bubble und mein altes Leben „zurück“. Das war eine Win-Win-Situation für alle, ich war besser drauf, Henry war sowieso gut drauf, meine Eltern waren froh, weil sie ihren Goldschatz den ganzen Tag hatten und alles war gut.
Wann war dir klar, dass es auch wirklich bei einem Kind bleibt?
Mein Mann war schon mal verheiratet und hat bereits zwei Kinder, die sind jetzt zehn und bald acht Jahre alt. Als wir zusammen kamen, war von mir ganz klar die Bedingung – ich möchte Mama werden. In unserer Beziehung war es also ganz klar, dass wenn wir zusammenkommen, werden wir trotz der zwei Kinder, die er schon hat, nochmal Eltern. Und ich wusste schon als ich schwanger war, wir kriegen kein Kind mehr, weil wir sind zu viele Menschen hier. Das war einfach ein ganz klares Gefühl.
Ein bisschen unterstützt wurde dieses Gefühl darin, dass Henry mit einem Gendefekt auf die Welt gekommen ist und, dass ein weiteres Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit auch daran leiden würde. Wir haben das alles super im Griff und das beeinträchtigt ihn eigentlich gar nicht, aber nochmal mit diesem Zusatz schwanger zu werden und die Gefahr, dass das Kind das wiederbekommen könnte, muss nicht sein.
Natürlich haben wir schon oft hier in der Küche gesessen und uns gefragt, ob wir ohne die Jungs aus erster Ehe noch ein Kind bekommen würden? Dann haben wir uns angeguckt und ich muss dazu sagen, mein Mann ist auch Einzelkind, und waren uns einig, dass nein. Weil wir es beide nicht kennen. Das ist ein ganz großes Ding. Wir kennen das Geschwistergefühl nicht. Uns hat da nichts gefehlt. Wir sind zwar in einer sehr unterschiedlichen Familienkonstellation groß geworden, Aber uns hat es an nichts gefehlt. Also, ich glaube, auch ohne die Jungs wäre es nur bei Henry geblieben.

Ihr seid also komplett zu dritt (+2) und scheint nicht zu strugglen
Ich finde diese Struggle-Themen total interessant. Ich habe Freundinnen in vielen Gesprächen begleitet mit der Frage, kriegen wir überhaupt ein Kind? Will ich eine Mama sein? Will ich keine Mama sein? In mir drin war das Gefühl so stark Mama sein zu wollen, dass mir das ganz doll wehgetan hat für meine lieben Freundinnen, wenn die das einfach nicht sagen konnten, weil sie hin- und hergerissen waren.
Genauso ist es dann jetzt in der nächsten Stufe, wo wir alle Mamas sind und manche sich fragen, ob sie ein weiteres Kind haben möchten. Wie du es ja auch in deinem Podcast beschreibst. Willst du ein zweites Kind oder willst du keins? Und da habe ich Freundinnen, die habe ich noch nie gefragt, aber da war das überhaupt gar kein Thema, dass sie nur ein Kind bekommen. Ich ziehe den Hut davor, wie die den Alltag mit zwei Kids meistern. Manchmal frage ich mich dann, ob die sich jemals gefragt haben, ob ein Kind reicht. Das wirkt bei einigen wie ein Automatismus, zwei Kinder zu bekommen.
Ja, das würde ich unterstreichen, dieses Gesellschaftliche, man kennt es halt so und bekommt unreflektiert auch zwei Kinder. Du bist wirklich eine der wenigen Personen, die ich kenne, die ganz safe sagt, wir bekommen kein weiteres Kind.
Dazu muss ich sagen, dass ich mich selbst gut reflektiere, ich habe auch Coachings besucht und ergründet, was sind meine wahren Gefühle, welches Bauchgefühl habe ich, ect.
Und ich muss sagen, ich bin mir sehr viel wert, ich bin die Nummer 1 für mich. Und dann kommt der Rest. Wenn ich nicht mit mir happy bin, dann bin ich es auch nicht für mein Kind, für meinen Mann, für meine Familie und für niemanden. Und das heißt gar nicht, dass ich meinen Sohn weniger liebe.
Wie ging es dir damit, dass um dich herum ab einem gewissen Zeitpunkt fast alle ein zweites Kind bekommen haben?
In meinem engsten Freundeskreis war ich bei dieser zweiten Runde die einzige, die nicht mitgemacht hat. Ganz, ganz bewusst. Und ich zieh den Hut vor meinen Mädels. Das ist Wahnsinn, was die leisten, weil die Großen sind ja kaum zwei Jahre alt. Die sind müde und platt und strugglen, weil sie gleichzeitig ihrem ersten Kind gerecht sein wollen. Das zweite Kind läuft halt so mit. Und dann immer diese Gedanken, oh mein Gott, bei dem zweiten mache ich ja gar nicht so viel Geschiss wie beim ersten. Da sage ich, für kein Geld der Welt wollte ich das.
Zur Frage, wie ich mich gefühlt habe…. Ich wusste ja, dass die alle ein zweites Kind planen. Ich dachte nur, wow, wir haben das erste „Abenteuer Kind“ alle gemeinsam erlebt und jetzt in der zweiten Runde bin ich nicht dabei. Das war also eher so ein, krass, jetzt bin ich außen vor. Es war nicht ein, oh man, kann eine von euch bitte auch Einkindmama bleiben, sondern es war eher, okay, du hast dich für einen anderen Weg entschieden, komm damit klar. Mir wurde da sehr bewusst, dass ich mich für einen anderen Weg entschieden habe, mit dem Weg aber auch für mich klarkommen musste. Ich habe mir ausgesucht Vollzeit zu arbeiten und Karriere in meiner kleinen Gastrowelt zu machen, damit bin ich sehr glücklich.
Für mich wäre es auch ganz, ganz schlimm, wenn ich jetzt ausversehen schwanger werden würde. Ich kann das gar nicht in Worte fassen, das ist eine richtige Angst von mir.
Welche Rolle spielt dabei, dass Du zwei Bonuskinder hast?
Ich finde, wir haben die großartigsten Jungs, die es gibt. Und mir ist die Beziehung zu den Jungs sehr wichtig und ich hätte niemals gedacht, dass die Beziehung zwischen den Jungs und Henry so intensiv wird. Weil in der Schwangerschaft hat das die Großen einfach überhaupt nicht interessiert. Und dann kam der Henry und sie sind so liebevoll miteinander. Natürlich nervt der kleine Bruder auch mal wie ein Hund, wenn sie zocken. Aber die haben schon ein tolles Verhältnis und das hätte ich niemals erwartet. Für Henry ist die Welt in Ordnung, wenn seine zwei großen Halbbrüder da sind. In dem Sinne kennt Henry zu einem kleinen Teil ein Geschwistergefühl.
Und wenn wir zu fünft unterwegs sind, merke ich immer, wie hart es ist, allen gerecht zu werden. Ich habe meine Bedürfnisse, mein Mann, der Große der Mittlere, der Kleine. Das ist schon viel für mich. Und von Paarzeit brauchen wir jetzt überhaupt gar nicht reden. Ich weiß gar nicht, wann Paarzeit überhaupt noch da ist. Aber jeder hat seinen Charakter und du willst auch jedem gerecht werden. Und das verändert sich ja auch fortlaufend, da kommt die Pubertät und, und, und. Es ist einfach viel Alltag. Und wenn du dir dann überlegst, du hättest noch eins. Also dann zwei eigene plus zwei Bonus-Kids. Ach du lieber Gott!
Ich habe den Eindruck, dass Henry echt gute Voraussetzungen hat, um später gut aufgestellt zu sein. Er hat zwei Halbgeschwister und bekommt von euch vorgelebt, wie schön und wichtig Freundschaften sind.
Ich wünsche mir das. Er hat ein großes Netz innerhalb meiner Familie, mit meinen Cousinen und den Tanten und seinen eigenen Cousins, er hat die Spielbuddies meiner engen Freundinnen und er hat viele, viele Tanten, so nennen wir nämlich auch meine langjährigen Freundinnen, die wir regelmäßig sehen. Henry hat auch bewusst zwei Paten, eine Patentante und einen Patenonkel. Das sind aber Freunde von uns, weil ich sage, meine Familie ist ja eh da. Das war mir wichtig.
Hast Du abschließend noch einen Tipp an alle (Einkind)mamas da draußen?
Ja, da würde ich gern von meiner Mutter-Kind-Kur erzählen. Das war ein Jahr nach Henrys Geburt, da ist glaube ich alles hochgekommen aus der schweren Anfangszeit und mit unserer Situation, dass der Henry einfach ein ganz schlechter Schläfer ist. Schlafmangel ist ja schlimmer als Folter. Und einfach dieser Alltag und alles unter einen Hut zu bekommen.
Ich war dann im November drei Wochen mit meinem Schatz im Bayerischen Wald. Da habe ich die unterschiedlichsten Mamas kennengelernt und auch die unterschiedlichsten Beweggründe, warum man so eine Kur macht. Und was soll ich sagen, ich habe mich so richtig als Aussätzige gefühlt, weil da waren ganz, ganz viele Mamas, die völlig runtergerockt waren, völlig am Ende, körperlich und nervlich, weil sie so viele Jahre ihre eigenen Bedürfnisse komplett hinten angestellt haben. Und dann kam ich und erzählte ihnen, dass ich jetzt drei Wochen hier bin, um 24/7 mit meinem Sohn zusammen zu sein und dass das für mich die größte Herausforderung sei. Dann haben die mich angeguckt, als wäre ich ein Alien. Ich war wirklich noch nie drei Wochen am Stück mit meinem Sohn 24/7 allein. Was ich daraus gelernt habe: Vielleicht übernehme ich mich manchmal mit meinen Sachen etwas, dafür genieße ich die Zeit, die ich mit Henry habe aber umso intensiver. Ich liebe das. Und das wünsche ich einfach auch diesen Mamas.
Und das hilft dir, ob du ein Kind willst, ob du zwei, drei, vier oder gar keins willst, sei dir in deiner Gefühlslage sicher und hab hoffentlich jemanden an deiner Seite, der das auch akzeptieren kann. Du kannst nur eine gute Mama sein, wenn es dir es gut geht. Klar gibt es Zeiten, die sind mal hart und du bist müde und platt, aber im Grundsätzlichen muss es dir gut gehen.
Da bin ich ganz bei dir. Man muss auf sich hören und sich bewusst machen, dass der gesellschaftliche Druck und was andere denken, was das beste Familienmodell ist, scheißegal sind.
Voll egal. Sei dir sicher, rede über deine Gefühle, sei offen und teile das mit. Ich für meinen Teil bin happy mit meinem Leben, mit meiner Lockenkanone Henry, der uns sehr viel zum Lachen bringt, mit meinen zwei Bonus-Jungs und meinem Dackel und natürlich auch vor allen Dingen meinem Mann, weil ohne seine Unterstützung würde bei mir gerade gar nichts laufen. Und natürlich mein Dorf, das immer um mich ist. Wir sind quasi komplett zu dritt plus zwei.